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27.01.2023
Erleben

„Anzug und Zylinder“

Helmut Sonneberg ist seit 75 Jahren Eintracht-Fan, überlebte den Holocaust und war ganz nah dran bei der einzigen Meisterschaft 1959. Jetzt spricht er bei „Eintracht vom Main“.

Helmut Sonneberg lacht, wenn er an den Mannschaftsempfang in der Stadt nach dem Europapokalfinale 2022 denkt. Denn: „Im Gegensatz dazu haben wir 1959 das Dreifache erlebt. Damals waren 300.000 Leute auf den Straßen“, erinnert sich der 91-Jährige. Beim Meisterschaftsendspiel in Berlin war er natürlich dabei. „Sonny“, als der er in Eintracht-Kreisen bekannt ist, hat jenes historische Erlebnis noch immer vor dem geistigen Adlerauge: „Eintracht Frankfurt, Deutscher Meister. Etwas Schöneres konnte ich mir nicht vorstellen.“

Sein Outfit für die bislang einzige gewonnene Meisterschaft der Adler hat er seinerzeit ganz bewusst gewählt. „Ein Anzug und Zylinder in schwarz-weißen Farben“, berichtet er, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Doch der Besuch des Spiels stand plötzlich in den Sternen. In der Nacht vor dem Finale plagten Sonneberg Zahnschmerzen. „Ein Arzt zog mir den Zahn für 15 D-Mark“, schmunzelt er. „Am Tag darauf habe ich mir zwei Tabletten reingehauen und bin mit meinen Kumpels zum Spiel.“

Als ich aus dem Arbeitslager zurückkam, wog ich 27 Kilogramm.

Helmut Sonneberg

Sonny ist seit über 75 Jahren Fan des Vereins, zu dem er 1947 gefunden hatte. „In unserem Haus wohnte ein Soldat. Ein Hauptmann“, erinnert er sich. „Er fragte mich eines Sonntagmorgens, ob ich mit ins Stadion wolle. Die Eintracht gewann ihr Spiel und ich war infiziert“, begründet Sonny die entstandene Liebe.

Seitdem vertritt er die feste Überzeugung, dass die Eintracht seine „große Familie“ sei. Vor allem aber auch, weil sie ihm Halt nach seiner tragischen Vergangenheit gab. Sonny ist Jude und wurde in der Zeit des Nationalsozialismus nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte. „Als ich aus dem Arbeitslager zurückkam, wog ich 27 Kilogramm. Jahrelang habe ich mich geschämt. Doch der Eintracht bin ich deshalb so dankbar, weil ich hier nie ein Wort der Diskriminierung gehört habe.“

Helmut „Sonny“ Sonneberg ist einige Jahre wegen seiner Eintracht hin- und hergerissen gewesen – und heute so stolz wie nie auf den Traditionsverein.

Ein Geständnis legt der Edelfan im Gespräch mit Museumsdirektor Matthias Thoma dennoch ab. In der Zeit, 1938 bis 1942 und 1955 bis 1970, als Rudolf Gramlich Eintracht-Präsident war, ist Sonneberg zwischenzeitlich aus dem Verein ausgetreten. „So weh mir das tat, ich konnte das nicht mit mir vereinbaren“, erklärt er. Gramlich wurde 1970 zum Ehrenpräsidenten, gehörte jedoch während des Kriegs einem Totenkopfregiment der Waffen-SS an. 2020 erkannten ihm Ehrenrat, Verwaltungsrat und Präsidium nach gründlicher Aufarbeitung von Gramlichs Rolle im Nationalsozialismus jenen Titel posthum ab.

In der 50. Ausgabe des „Eintracht vom Main“-Podcasts spricht Sonneberg außerdem darüber, wie er den Sieg des Europapokals 2022 erlebte. Über Reisen nach Mannheim und Glasgow und seine Rückkehr nach Theresienstadt, die er 2019 zusammen mit 30 weiteren Eintracht-Fans unternahm.

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Folge 50: Helmut Sonneberg