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11.11.2022
Fanabteilung

Eine Weltmeisterschaft am falschen Ort?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Tradition zum Anfassen“ diskutierten am 10. November Dario Minden, Philipp Reschke und Dr. Sebastian Sons über den Umgang mit der Weltmeisterschaft in Katar.

Eine Weltmeisterschaft am falschen Ort? Eine Fragestellung, die derzeit in der Öffentlichkeit viel diskutiert wird. Am 20. November 2022 beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und vieles ist anders im Vergleich zu vorherigen Weltmeisterschaften. Die Austragung findet im Winter statt, ein Novum. Im Land herrscht eine verehrende Menschenrechtslage, Homosexualität wird unter Strafe gestellt. Doch wie sollen wir Fußballfans mit dieser Weltmeisterschaft umgehen? Dieser Frage widmete sich die beliebte Veranstaltungsreihe „Tradition zum Anfassen“, die von der Fanabteilung gemeinsam mit dem Eintracht Frankfurt Museum ausgetragen wird. Mit Moderator Axel „Beve“ Hoffmann diskutierten Dario Minden, Vorstand der Fanabteilung, Philipp Reschke, Mitglied im Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG und Dr. Sebastian Sons vom CARPO-Institut („Center for Applied Research in Partnership with the Orient“) als Experte für die Lage vor Ort.

Für viele Familien ist die Arbeit in Katar alternativlos.

Dr. Sebastian Sons

Dr. Sebastian Sons forscht seit Jahren zu den Monarchien am Persischen Golf, sein letzter Besuch in Katar liegt nicht lange zurück. Der promovierte Islamwissenschaftler betont den Dialog „in einer Zeit, in der die Polarisierung immer mehr zunimmt“. Er habe einen anderen Blickwinkel auf die Weltmeisterschaft in Katar, den er in den in den Gesamtzusammenhang einordnen müsse. In Katar leben nur etwa 300.000 Staatsangehörige, dazu kommen etwa 2,5 Millionen Fremdarbeiter. Das sei aber kein neues Phänomen der Weltmeisterschaft, die Arbeitsmigration in die Golfstaaten ist historisch gewachsen: „Ich kenne viele Geschichten der Arbeiterfamilien, für viele Familien ist die Arbeit in Katar alternativlos. 80 Prozent des Gehaltes gehen an die Familien zuhause. Es ist eine Flucht aus der Armut, da die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihren Herkunftsländern gar nichts verdienen“, beschreibt der Experte die Situation in Katar.

Natürlich seien die Arbeitsbedingungen katastrophal, dennoch müsse man das Problem als ein globales Problem identifizieren und auch die Hintergründe beleuchten, die die Menschen überhaupt erst zur Arbeitsmigration nach Katar bewegen. Die Weltmeisterschaft diene der katarischen Herrscherfamilie zudem vornehmlich zum Machterhalt. Strukturelle Veränderungen, zum Beispiel bei den Bedingungen und der Bezahlung der Arbeiterinnen und Arbeiter, hätten da sicherlich keine Priorität. Von den Fußballverbänden sei hier lange Zeit auch kein Druck gemacht worden.

Das Thema Menschenrechte, aber auch Folgethemen wie Arbeitsbedingungen am Bau und weitere rechtliche Aspekte, könnten die Verbände dezidiert in die Ausschreibungsprozesse einbinden.

Philipp Reschke

Die Frage müsse vielmehr lauten, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass eine solche Weltmeisterschaft nach Katar vergeben werden konnte. Dario Minden sieht die Verantwortung bei der FIFA: „Es müssen Mindeststandards beim Vergabeverfahren gelten, die eine solche Vergabe in Zukunft verhindern. Wenn beispielsweise in einem Land gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe steht, sollte das bereits ein Ausschlusskriterium sein!“, stellt der Vorstand der Fanabteilung klar. Es sei Aufgabe der Verbände, den Zeitgeist zu begreifen, die Kritik an Katar sei laut und deutlich. Die Vergabe fand im Jahr 2010 statt, seitdem habe sich viel verändert.

Der öffentliche Druck ist gestiegen. Philipp Reschke stellt eine klare Forderung auf: „Das Thema Menschenrechte, aber auch Folgethemen wie Arbeitsbedingungen am Bau und weitere rechtliche Aspekte, können die Verbände dezidiert in die Ausschreibungsprozesse einbinden, um klare Kriterien zu schaffen und ohne Rechtsrisiken solche Turniere den Nationen wieder entziehen zu können. Ich hoffe, die Weltmeisterschaft in Katar wird einen Veränderungsprozess herbeiführen". Für Dario Minden ist die WM in Katar ein Symbol für die gestiegene Frustration am Fußballgeschäft, die in der Kritik an der Weltmeisterschaft ein Ausdruck finde. Fans und Fanorganisationen sind gefragt: „Der Staat Katar verfolgt ja durchaus nachvollziehbare politische Ziele und spannt den Sport dabei für seine Zwecke ein. Dieses Konzept darf sich zumindest in Deutschland nicht durchsetzen. Wenn dieses System erfolgreich ist, dann ist unser basisdemokratischer Fußball verloren. Dagegen müssen wir uns wehren!“

Diese Weltmeisterschaft ist der Tiefpunkt einer verehrenden Entwicklung des Profifußballs.

Dario Minden

Sechs Spieler von Eintracht Frankfurt werden an der Weltmeisterschaft teilnehmen, mit Kevin Trapp und Mario Götze sind zwei für die deutsche Nationalmannschaft nominiert. Philipp Reschke stellt sich bei der Diskussion um die Weltmeisterschaft vor die Spieler: „Wir müssen den Spielern die Last von den Schultern nehmen. Die Weltmeisterschaft an Katar zu geben wurde von den Verbänden und Funktionären entschieden - In dem Bewusstsein, welche Zustände dort herrschen. Es ist Aufgabe der Verbände, diese Mängel klar zu benennen und die politische Deutungshoheit in der kritischen Auseinandersetzung mit Katar zu übernehmen, aber den Spielern sollten wir diesen öffentlichen Erwartungsdruck nehmen".

Der persönliche Umgang mit der Weltmeisterschaft

Nicht nur die Spieler müssen einen Weg finden, mit dieser Weltmeisterschaft umzugehen. Der Umgang betrifft vor allem die Fußballfans hierzulande, die vor einer entscheidenden Frage stehen: Wie soll ich mich persönlich verhalten? Dario Minden findet für sich eine klare Antwort: „Auf diese Weltmeisterschaft habe ich keine Lust, ich werde mir die Weltmeisterschaft nicht anschauen. Diese Weltmeisterschaft ist der Tiefpunkt einer verehrenden Entwicklung des Profifußballs. Ich möchte das ganze schlimme Drumherum nicht stumpf ausblenden und deswegen schaue ich die Spiele gar nicht". Für Philipp Reschke sei diese Frage schwerer zu beantworten, auch seine Kinder hätten ein logisches Interesse an der Weltmeisterschaft. Ob und wie oft er den Fernseher dann aber einschalte oder nicht, das könne er derzeit nicht abschließend beantworten. Es sei aber weniger eine Frage des Prinzips als vielmehr der allgemein gegenüber früheren Turnieren fehlenden Vorfreude. Dr. Sebastian Sons hingegen wird während der WM nach Katar reisen und auch Spiele live vor Ort verfolgen, er will mit den Menschen ins Gespräch kommen und weiter Eindrücke sammeln aus dem Land, das zusammen mit Saudi-Arabien im Zentrum seiner Forschungsarbeit steht. Und er wird berichten: Von den Spielen, von der Situation vor Ort und inwiefern diese Weltmeisterschaft wirklich Veränderungen in Katar anstoßen konnte.