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21.06.2024
Fanabteilung

Fußballfanatiker im Vorstand

Dario Minden ist seit mehreren Monaten Abteilungsleiter der Fan- und Förderabteilung von Eintracht Frankfurt. Im Interview spricht über Aufgaben, Probleme in der Fan-Szene und seine Leidenschaft zur Eintracht.

Gude Dario, jetzt bist Du seit fast drei Monaten der neue Abteilungsleiter der Fanabteilung. Wie hast Du diese Zeit erlebt?

So viel hat sich gar nicht geändert, ich war zuvor ja auch schon im Vorstand tätig. Der Abteilungsleiter der Fanabteilung ist satzungsgemäß aber auch im Beirat und im Wahlausschuss unseres Vereins, das sind zwei sehr wichtige Aufgaben, die zu meinen Tätigkeiten hinzugekommen sind. Aber wir haben den Vorstand ja auch von drei wieder auf fünf Mitglieder aufstocken können, sodass an anderer Stelle Aufgaben von anderen übernommen werden.

Genau. Julia Böhmer, Sebastian Braun und Stefan Matyjasiak sind dazu gekommen. Frank Dann ist weiterhin dabei. Woran arbeitet ihr aktuell?

Es ergeben sich immer viele Themen, beispielsweise aus dem Bereich der Fanpolitik. Ob bei Eintracht Frankfurt oder überregional. Unsere Hauptaufgabe ist auf jeden Fall, dass wir die praktische Ausgestaltung der theoretischen 50+1-Regel sind. Die steht ja erst mal nur auf dem Papier, es braucht dann aber auch tatsächlich Vereinsmitglieder, die sich einbringen, um den Verein im Sinne der Basisinteressen zu gestalten. Ein bedeutender Pfeiler hiervon ist, neben der Arbeit in den Gremien, der kritisch konstruktive Austausch mit Vertretern der AG und dem Präsidium des e.V. Diesen pflegen wir und bauen ihn aus. Ebenso wichtig ist der Dialog mit den verschiedenen Akteuren der Fanszene, hier ist die Fanabteilung als großer, ausgleichender Akteur in der Verantwortung. Die Eintracht war in den letzten Jahren schließlich nur so erfolgreich, weil alle an einem Strang gezogen haben. Ein weiterer Pfeiler unserer Arbeit ist die überregionale Vernetzung mit anderen organisierten Fans und der Austausch mit den Verbänden sowie der Politik. Was wir hier machen, ist Lobbyarbeit für fankulturelle, fanpolitische Anliegen. Ich könnte noch vieles aufzählen, was uns beschäftigt, das würde aber sicherlich den Rahmen sprengen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auf jeden Fall, dass auch die Schärfung des gesellschaftspolitischen Profils der Eintracht dazu zählt. Unser Ehrenpräsident Peter Fischer hat hier Großartiges geleistet, auf dem aus unserer Sicht weiter aufgebaut werden muss.

Gehen wir doch mal näher auf das ein, was Du jetzt „fankulturelle und fanpolitische Anliegen“ genannt hast. Es sind für Fußballfans ja schon verrückte Zeiten: Es geht um unfassbar hohe Geldsummen, die Verweildauer von Spieler bei Vereinen sind kürzer als das früher der Fall war, die europäischen Wettbewerbe werden reformiert, es scheint als müsse alles immer schneller immer größer werden und vor allem finanzielle Rendite bringen… Wo siehst Du in all dem die Fanabteilung? Welche Rolle wollt ihr einnehmen?

Hier kommen wir zu der fundamentalen Frage, die alle Fußballfans betrifft: Inwiefern ist es moralisch vertretbar, so viel Zeit, Herzblut und Emotion in einen Spitzensport zu investieren, der sich mehr und mehr von Basisinteressen entfernt? Es gibt schon sehr viele frustrierende Entwicklungen in unserem schönen Sport. Der Bundesligawettbewerb leidet stark darunter, dass drei Konzernklubs ohne jegliches Regulativ an den Start gehen dürfen. Zudem ist Multiclubownership (beispielsweise 777-Partners, die City-Group, die Red Bull Klubs) ein wachsendes Problem und international treffen wir auf Gegner, die teilweise von sehr skrupellosen milliardenschweren Geldgebern aufgepumpt werden.. Um da mitzuhalten, müssen immer Kompromisse eingegangen werden. Da dürfen wir nicht einfach aufgeben. Trotz allem ist die Eintracht größer als je zuvor und damit sind wir auch ein größerer sozialer Faktor als je zuvor.

Diese Gemeinschaftserlebnisse, das Menschliche, darum geht es doch im Kern.

Dario Minden

Wenn ich als Eintracht-Fan – und da weiß ich dass es vielen genauso geht - gegen so manche “Vereine” ins Stadion gehe, mache ich das ja nicht, weil ich die für legitime Wettbewerber halten, sondern weil das Soziale drumherum trotzdem noch großartig ist. Die Leute, die man trifft, die verschiedensten Rituale und Gewohnheiten, die wir alle haben. Die Pandemie hat uns das nochmal ganz deutlich gezeigt, dass uns nicht direkt das Kräftemessen von zwei Mannschaften gefehlt hat, was wir wenigstens noch im Fernsehen verfolgen konnten, sondern eben das Menschliche, das Fan-Sein mit anderen zusammen. Und das gilt es zu verteidigen und nicht aufzugeben. Es gilt einen Balanceakt zwischen Kommerz und Bodenständigkeit, zwischen Kapital und Basis zu finden. Da gibt es rund um unseren Klub ein Schlagwort: Den „Frankfurter Weg“. Wir wollen ja alle, dass die Eintracht international spielt, aber aus unserer Sicht nicht um jeden Preis. Dafür steht die Fanabteilung ein, mit Pragmatismus aber auch starkem Wertekompass mitgestalten, was vertretbar ist, und wo rote Linien verlaufen.

Ein Problem mit dem sich manche Frankfurter Fans in den letzten Jahren konfrontiert sahen, waren kollektive Betretungsverbote oder auch Reiseverbote. Wie schaust Du auf diese Thematik?

Es ist krass zu sehen – und das sag ich nicht nur als Fußballfanatiker, sondern auch als Bürger und Jurist – wie die Bürgerrechte von Fußballfans ignoriert und gar mit Füßen getreten werden. Teilweise ohne jegliches Problembewusstsein, als sei behördliche Willkür normal und unproblematisch in liberalen Rechtsstaaten. Gerade im internationalen Kontext erleben wir hier immer wieder Erschreckendes, zuletzt in Brüssel. Wir haben als Bürger:innen der EU grundsätzlich das Recht, dort hin zu fahren, wo wir wollen, aber das wird uns genommen. Wenn viele Eintracht-Fans zu europäischen Auswärtsspielen pilgerten, waren es in der Vergangenheit immer große friedliche Feste, verbunden auch mit großen Umsätzen der heimischen Gastronomien. Das heißt nicht, dass es aus unseren Reihen keine Verfehlungen und bei manchen eine Lust an körperlicher Auseinandersetzung gab, die bei Fußballspielen und in Innenstädten nicht hinnehmbar sein darf. Aber wie solche Vorfälle genutzt werden, um die große Masse friedlicher Fans auszuschließen, ist ein Skandal.

Ist das nur auf europäischer Ebene ein Problem oder auch in Deutschland?

In Deutschland mehren sich leider ebenso die Sorgenfalten, wenn wir auf das Verhältnis zwischen Fans und Polizei blicken. Als Fanabteilung stehen wir immer für Dialog, auch gegenüber staatlichen Stellen, aber in meinen Augen ist klar: solange wir es als Gesellschaft nicht hinbekommen, Verfehlungen auf Seiten der Polizei unabhängig aufzuklären und zu ahnden, solange wird sich am vergifteten Klima nichts ändern. Ganz klar ist auch: was sich einige aus unseren Reihen an körperlichen Angriffen beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart geleistet haben, kann nicht toleriert werden. Natürlich kommt es hier sowohl zu staatlicher Strafverfolgung als auch – nach sorgfältiger Prüfung mit Anhörung – zu Stadionverboten durch die Eintracht. Aber was ist mit dem skandalösen Vorgehen der Polizei? Da führen die Ermittlungen immer ins Leere und das liegt noch nicht mal daran, dass bei den Ermittlungsbehörden nur schwarze Schafe säßen, die alles vertuschen wollen. Nein, da sind viele mit einem intakten Rechtsstaatsempfinden, aber die kriegen aus einem perfiden Grund kaum Anzeigen und Beweise: Es ist nämlich gängige Praxis, dass es bei Anzeigen gegen Polizeibeamt:innen direkt zu Gegenanzeigen wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ kommt. Da kann man sich auch schon denken, dass es da stets andere Polizeikolleg:innen geben wird, die „kollegial“ aussagen werden. Daher rät kein Rechtsbeistand nach Vorfällen wie am 25. November 2023 zu Anzeigen gegen Polizeigewalt. Das sind Missstände, die so viel größer sind als der Fußball, da geht es um Bürgerrechte. Das ist ein Teil von Fanpolitik, hier ist auf jeden Fall der „13. Mann“ lobend zu erwähnen, an den sich Betroffene von Polizeigewalt immer vertrauensvoll wenden können.

Beschäftigen wir uns mit einem weiteren Missstand, der größer als der Fußball ist: Es ist bekannt geworden, dass in mindestens einem Fall eine Frau im Stadion K.o.-Tropfen verabreicht bekommen hat. Im Kontext dieser Veröffentlichung haben sich noch mehr Betroffene gemeldet, die ähnliche Erlebnisse geschildert haben. Wie reagiert die Fanabteilung auf diese Berichte?



Erstmal ist es sehr wichtig, dass diese Fälle publik werden. Mein Respekt geht an die Betroffenen, die sich deswegen gemeldet haben. Die Verwendung von K.o.-Tropfen ist widerwärtig und auf unterster Stufe verwerflich. Leider hat man durch die Heimtücke solcher Taten kaum die Chance, Täter zu fassen. Umso wichtiger ist, dass eine hohe Sensibilität herrscht – bei allen im Stadion. Getränke nicht offenstehen lassen, ein Auge für die Mitmenschen haben, Anzeichen früh erkennen und Hilfe anbieten, sind wichtige Aufgaben für alle Stadionbesucher:innen. Als Fanabteilung setzen wir uns schon seit langem für ein umfassendes Schutz- und Awareness-Konzept mit geschultem Personal und sicheren Rückzugsräumen ein. Ein solches ist gerade auch in seiner finalen Ausarbeitungsphase. Hier wird bei der Eintracht Frankfurt Fußball AG auch eine Vollzeitstelle geschaffen, das ist aus meiner Sicht eine sehr gute Entwicklung, die absolut notwendig ist. Nicht nur in solchen Fällen, auch für andere Bereiche, die unter den Oberbegriff „Awareness“ fällt, wie rassistische oder antisemitische Vorfälle.
Auf der einen Seite passiert hier wirklich viel gutes, auf der anderen Seite ist es manchmal frustrierend, wie viel Zeit vergeht. Zwischen den KO-Tropfen vom 26.10.2023 und der Maßnahme, Plastikdeckel zur Verfügung zu stellen und eine Meldung zu veröffentlichen, ist auch ein halbes Jahr vergangen. Das ist alles andere als ideal. Aber wie bei so vielen Themen, wichtig ist, dass man beständig dran bleibt, dann lassen sich auch Fortschritte erreichen.

Dann lass uns doch mit einem positiven Ausblick enden: Worauf freust Du Dich denn am meisten im kommenden Jahr beziehungsweise Saison?






Das Schöne am Fußball ist ja, dass wir nie so richtig wissen, was passieren wird. Nächste Saison spielt auf jeden Fall sowohl unsere Männer-  als auch unsere Frauenmannschaft international. Da sind unvergessliche Eintracht-Erlebnisse jetzt schon garantiert. Das ist einfach das Große und Schöne unseres Vereins und des basisnahen Fußballs an sich: Dass wir immer wieder zusammenkommen, zusammen leiden, uns zusammen freuen. Diese Gemeinschaftserlebnisse, das Menschliche, darum geht es doch im Kern. Und da nimmt man doch gerne auch so manches Kopfzerbrechen und so manche Sorgenfalte auf sich, um das zu bewahren.

Dario Minden

Abteilungsleiter der Fan- und Förderabteilung

  • Geboren: 4. November 1994
  • Aufgewachsen in Frankurt Eckenheim
  • Mitglied seit: 8. Januar 2004
  • Beruf: Rechtsreferendar
  • Außerdem in der Kommission Fans und Fankulturen von DFB und DFL entsandt