Michael Brehl spricht klar und offen, seine Stimme ist deutlich und positiv. Man merkt, dass er seine Lebensfreude trotz der Erlebnisse vom 13. September 2022 nicht verloren hat. An jenem Tag hatte er, wie er sagt, eine „Nahtoderfahrung“. Beim Spiel der Eintracht in Marseille wird der Eintracht-Fan aus Friedrichsdorf von einer Leuchtrakete getroffen. Er erleidet schwere Verletzungen, auch durch den folgenden Sturz. Noch immer ist Brehl im Krankenhaus, einige Operationen hat er über sich ergehen lassen müssen. Mittlerweile ist der mutmaßliche Täter wegen versuchten Mordes angeklagt. Brehl sagt, dass er keine „Öffentlichkeits-Rampensau“ sei, möchte aber vor der Partie an diesem Mittwoch gegen Marseille in Frankfurt einen Appell an die Fans richten. Denn: „Eintracht Frankfurt hat Werte und steht für eine Haltung. Ich möchte, dass wir das am Mittwoch zeigen.“ Fast eine Stunde nimmt sich der langjährige Eintracht-Fan und Dauerkarteninhaber Zeit für das Gespräch mit der Eintracht-Redaktion.
Michael, zunächst die wichtigste Frage: Wie geht es dir?
Die Genesung schreitet voran. Die Wundversorgung ist mittlerweile abgeschlossen, ich kann dieser Tage das BGU in Frankfurt wieder verlassen. Jetzt steht die Reha an, die zunächst auf drei Wochen angesetzt ist. Kein Nerv ist vollständig zerstört, das ist schon mal gut.
Wie hast du den 13. September in Marseille erlebt?
Meine Lebensgefährtin und ich hatten schon bei der Anreise ein mulmiges Gefühl. Vor und im Stadion herrschte eine aggressive Stimmung, ja fast unwirkliche Szenen haben sich abgespielt. Ich stimme Peter Fischer voll zu, das waren bürgerkriegsähnliche Zustände. Vor dem Spiel ging es schon los mit den Leuchtraketen. Ich sagte zu meiner Lebensgefährtin, dass wir lieber weiter nach oben im Block gehen, weil ich dachte, dass wir dort sicherer sind.
Dennoch hat dich eine Leuchtrakete getroffen.
Ich sah auf einmal einen Feuerball auf mich zukommen. Der Einschlag am Hals ging so schnell, selbst die sofort hochgerissene Hand hat nicht geholfen. Im Fallen habe ich schon gemerkt, dass ich halbseitig gelähmt bin. Ich konnte mich nicht wegrobben. Sofort haben Menschen versucht, mit Schals und T-Shirts die Blutung zu stoppen. Ich habe das bei vollem Bewusstsein erlebt und dachte: Wenn das die Halsschlagader war, dann kannst du deine letzten Worte an deine Lebensgefährtin richten. Ich hatte keine Schmerzen, war aber trotzdem hilflos. Irgendwann wurde ich ruhiger, weil ich gemerkt habe, dass es nicht gleich zu Ende ist.
Ich dachte: Wenn das die Halsschlagader war, dann kannst du deine letzten Worte an deine Lebensgefährtin richten.
Michael Brehl
Wie verarbeitet man das, wenn man bei vollem Bewusstsein diese Situationen erlebt?
Ich war zunächst erleichtert, dass sich so viele Leute um mich gekümmert haben. Insbesondere der Ärztin, die Eintracht-Fan ist und bis zum Eintreffen der Sanitäter die Blutung gestoppt und mir damit wohl das Leben gerettet hat, bin ich sehr, sehr dankbar. Psychologisch ist das hinterher unheimlich schwer. Ich war noch nie so hilflos, das muss man erstmal verarbeiten. Ich habe den psychologischen Dienst der BGU in Anspruch genommen.
Welche Gefühle hast du heute, wenn du darüber nachdenkst, dass diese Leuchtrakete ausgerechnet dich getroffen hat?
Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Es war kein persönlicher Angriff gegen mich, deshalb habe ich keinen Groll oder Zorn auf irgendjemand.
Wie sind die Prognosen, dass du wieder vollständig gesund wirst?
Die Ärzte halten sich bedeckt, das ist schwer zu sagen. Ich brauche auf jeden Fall Geduld. Bei der Behandlung meiner Bandscheibenprobleme habe ich gelernt, geduldig zu sein. Nach fast sechs Wochen im Krankenhaus fällt das schwer, dennoch muss man demütig sein. Ich sehe hier jeden Tag Menschen, denen es noch schlechter geht. Aber es hat mich schwer erwischt, es war kein einfacher Beinbruch. Die Ärzte sprechen von einer Art Schussverletzung.
Jeder Satz des Zuspruches, und war er noch so trivial, tut gut. Ich hätte nicht gedacht, dass die Eintracht-Familie so gemeinschaftlich ist.
Michael Brehl
Wie verfolgst du die Eintracht-Spiele seither? Ist dies überhaupt vom Kopf her möglich für dich?
Unser direkt folgendes Auswärtsspiel in Stuttgart habe ich nicht angeschaut, da hatte ich kein Nerv dafür im französischen Krankenhaus. Seither habe ich alles auf meinem Handy gesehen. Es ist nicht der Genuss, wie wenn ich mit meinen Kumpels im Stadion in Block 32 bin. Aber die Mannschaft, Trainer und Vereinsführung gefallen mir und tragen quasi indirekt auch zu meiner Genesung bei. Ebenso wie die zahlreichen Nachrichten, die ich über alle Kanäle erhalten habe.
Wie hast du diesen Zuspruch aufgenommen?
Ich habe mir jede einzelne Nachricht durchgelesen, manche mehrfach. Jeder Satz des Zuspruches, und war er noch so trivial, tut gut. Ich hätte nicht gedacht, dass die Eintracht-Familie so gemeinschaftlich ist. Vielen Dank, liebe SGE-Gemeinde, dass ich Teil dieser Gemeinschaft sein darf! Der Banner in meinem Block war eine überragende Geste. Vielen Dank auch an den Vorstand der Eintracht, der bei meinem Rücktransport von Marseille nach Frankfurt geholfen hat. Bei der BGU bin ich nun in allerbesten Händen.
Was wünschst du dir für das Marseille-Spiel am Mittwoch, neben drei Punkten natürlich?
Wie gesagt, ich habe keinen Zorn oder Wut auf irgendjemand. Eintracht Frankfurt hat eine Haltung: Wir verzeihen, wir sind tolerant, wir haben keine Rachegelüste. Wir sind ein bunter Haufen, der friedlich ist und eine weitere europäische magische Nacht im Stadion erleben möchte. Wir lassen uns nicht provozieren und zeigen unser bestes Gesicht! Denn wir sind nicht Marseille. Hier passt auch das Zitat eines Frankfurter Bubbs, Johann Wolfgang von Goethe: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Das möchte ich am Mittwoch von unseren Fans sehen, auch das sind unsere Werte. Wenn wir das beherzigen, ist viel gewonnen. Nicht nur am Mittwoch, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens.
Michael, wir danken dir für das Interview! Die Eintracht-Familie wünscht weiterhin alles Gute!